Haussanierung

Die Erkenntnisse der bauhistorischen Untersuchung hatten und haben natürlich unmittelbaren Einfluss auf die Herangehensweise an das Sanierungsprojekt.

Von einem Abriss des Hinterhauses (auch wenn dieses vermutlich neueren Datums ist) haben wir dann aus zwei Gründen abgesehen und uns auch hier für die Sanierung entschieden. Zum einem hätte der Abriss aufgrund der engen Innenstadtlage in Handarbeit erfolgen müssen. Eine kurze Recherche im Internet, welche Kosten dabei auf uns zukommen, hat uns die Entscheidung schnell abgenommen. Von den Kosten für einen neuen Anbau ganz zu schweigen… Inzwischen sind wir beim Entfernen der Tapeten im Anbau auf Zeitungsfragmente gestoßen, die auf 1870 datiert waren und sich darunter auch noch einige Kalkanstriche verbargen. Der Anbau war also doch um einiges älter, als der Denkmalschützer und der Holzsachverständige angenommen haben, die die Erstellung des Anbaus nach dem ersten Weltkrieg vermuteten. Viel zu schade für einen Abriss.

Doch vor dem Aufbau kommt der Rückbau. Die Entkernung des Hauses hat in etwa ein 3/4 Jahr verschlungen. Es ging vor allem darum, die eigentliche Substanz des Hauses freizulegen und diese zu beurteilen. Was sich dabei zeigte, war die nächste große und eher traurige Überraschung.

Von der ursprünglichen mittelalterlichen Substanz war im Haupthaus wenig übrig. Ursache hierfür war ein großangelegter Umbau, vermutlich Anfang der 1960er Jahre. Damals wurden Keller verfüllt und der Dachstuhl sollte für ein weiteres Geschoss angehoben werden. Dabei wurde ziemlich radikal und mit herzlich wenig Sachverstand vorgegangen.

Das Ergebnis ist ein recht marodes Konstrukt, bei dem die mittelalterlichen Komponenten noch besser dastehen als die lieblosen Machwerke der 1960er. Die Statik des Hauses war durch den Umbau im Grunde gleich an mehreren Stellen so beschädigt, dass es einsturzgefährdet war. Auch wenn die Stadt Schotten damals das Aufstocken des Hauses (zum Glück) untersagt hat, haben die Schlaumeier von damals den alten Dachstuhl schon ein gutes Stück zerstört und auch ihm die Stabilität genommen. Die Lieblingssprüche unseres Statikers: „Wenn das Haus auf der grünen Wiese stehen würde, wäre es wohl schon umgeweht worden,“ und „wenn ich anfange zu rechnen, stürzt es ein.“

Ein großes Problem stellte gerade anfangs die Tatsache dar, dass eigentlich kaum jemand etwas über das Haus wusste und wir auch nur in kleinen Häppchen an lückenhafte Dokumentationen gekommen sind. Auch alte Fotos gibt es kaum. Gerade mal 3 Fotos haben wir zusammen bekommen. Leider zeigen Sie das Haus immer nur als Nebenobjekt. Es war wohl kein begehrtes Fotomotiv. Trotzdem lieferten die Fotos wichtige Hinweise.

Die nicht gesicherte Aussage des Optikers, der seinen Laden vor unserem Kauf im Erdgeschoss betrieb, dass das Haus mal über einen Keller verfügte, konnte anhand der Fotos verifiziert werden. So zeigt das Bild rechts, dass die Fenster im Erdgeschoss links und rechts der Eingangstür in unterschiedlicher Höhe eingebaut sind. Ein anderes Foto zeigt ein kleines Kellerfenster auf der linken Hausseite. Heute sind die Fenster auf gleicher Höhe. Der frühere Keller befand sich auf der linken Hausseite und war nicht vollständig unterirdisch. Dies führte innerhalb des Erdgeschosses dazu, dass der Boden auf der linken Seite ca. 60cm bis 70cm höher, als auf der rechten Seite gelegen haben muss. Heute gibt es diesen Sprung nicht mehr. Der Erkenntnisgewinn glich einem Puzzlespiel.

Vor allem haben wir lange gerätselt, welchem Zweck das Hinterhaus diente. Ein wenig Licht konnten wir ins Dunkel bringen, leider nicht über den gesamten Zeitraum, den das Hinterhaus erlebt hat. Das Haupthaus diente lange Zeit als Lebensmittel- oder auch Kolonialwarenladen. Der Anbau wurde als Warenlager genutzt und regelmäßig, aufgrund des damals noch oberirdisch durch Stadt laufenden Mühlbachs, überschwemmt. Aus diesem Grund sollte auch das Haupthaus aufgestockt werden, da man wohl das Lager auf dem Dachstuhl verlagern wollte, um die zu lagernden Waren vor Hochwasser zu schützen. Später bis zum Kauf durch uns wurde das Hinterhaus vom Optiker ebenfalls als Lager genutzt.

Vorderansicht des Hauses mit Optikerladen
Optikerladen bei Nacht

Vor seiner Nutzung als Lager, diente das Hinterhaus wohl über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren als Gerberei. Dies erzählte uns ein entfernter Nachfahre früherer Besitzer. Dieser hatte sich mit der Recherche seiner Familiengeschichte beschäftigt und konnte sich auch noch an Erzählungen seines Großvaters erinnern, der von den offenen Gerberbecken im Hof berichtete. Leider verstarb er plötzlich und konnte uns seine Recherchen nicht mehr zukommen lassen.

Eine Beschreibung Schottens des „Großherzogtums Hessen“ von 1830 listet die ansässigen Handwerksbetriebe auf:

„… Die Stadt hat 97 Tuchmacher, 20 Leineweber, 15 Strumpfweber, 4 Tuchbereiter, 4 Färber, 54 Metzger, 15 Schuhmacher, 8 Rothgerber, 2 Sattler, 3 Hutmacher, 28 Bäcker, 10 Schneider, 11 Maurer, 3 Steindecker, 6 Schreiner, 3 Küfer, 2 Drechsler, 1 Knopfmacher, 4 Glaser, 3 Schlosser, 1 Apotheke etc. …“

Daraus lässt sich schließen, dass es sich genauer gesagt um eine Rotgerberei gehandelt haben muss. Die Beschreibung führt für Schotten keine normalen Gerbereien, sondern lediglich Rot- bzw. Lohgerbereien auf.

Weiterlesen:

Infrastruktur          Haupthaus          Hinterhaus          Scheune